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Neue Wege in der IT-Standardisierung

Dr. Peter Krüger, Dr. Christian Dürr
Erschienen in: ERP Management 8 (2012) 3, ISSN 1860-6725

Zusammenfassung


IT-Standardisierung trägt zur Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens bei. Sie hilft Komplexität zu verringern und die Betriebsfähigkeit von IT-Systemen zu steigern. In diesem Beitrag wird das Problem der Standarddurchdringung in großen Unternehmen erörtert und Lösungsansätze zur besseren Etablierung von Standards mit Hilfe des Product-Lifecycle-Managements vorgestellt.

A new approach for IT standardisation with product-lifecycle-management: IT standardisation improves the competitive position of a company. It decreases IT complexity and enhances the operating ability of IT systems. In this article, first we reason the problem of establishing standards in large companies. And second, we present a new approach for a better acceptance of standards with the use of product-lifecycle-management.

Keywords: enterprise architecture management, IT standardisation, product-lifecycle-management

Artikel


Inhaltsübersicht

Einleitung
Neue Wege
Auswirkungen
Fazit
Literatur

Einleitung


Enterprise Architecture Management (EAM) ist ein ganzheitlicher Ansatz des strategischen IT-Managements. Es schafft die Voraussetzungen für die strategische Planung und Steuerung der IT [1, 2]. Die Planung der Anwendungslandschaft erfolgt in enger Ausrichtung an den Geschäftsprozessen und getrieben durch fachliche Anforderungen. Dies führt zu heterogenen IT-Systemlandschaften und damit steigenden Bedarf nach Komplexitätsreduktion. Standardisierung ist eine wichtige Strategie zur Umsetzung dieses Ziels. Durch Standardisierung wird die Betriebsfähigkeit von IT-Systemen verbessert, das Lizenzmanagement wird vereinfacht und die Einkaufskompetenz steigt. Querschnittsthemen wie IT Sicherheit, Datenschutz und Umsetzung rechtlicher Anforderungen können zentralisiert behandelt werden.

IT-Standardisierung in kleinen Unternehmen mit einer zentralen IT-Abteilung wird nach bisheriger Auffassung durch strenge Vorgaben und Richtlinien über eine zentralisierte Entscheidungsinstanz nach dem Top-Down-Ansatz durchgesetzt [3]. Wenn strategisches und operatives IT-Management durch rege Kommunikation und flache Hierarchien nahe beieinander liegen, ist das ein geeigneter Ansatz.

Die IT-Organisationen großer Unternehmen prägen tiefe Hierarchien und eine dezentrale (überregionale, globale) Struktur. Budgetplanung und Ergebnisverantwortung liegen hoheitlich im jeweiligen Organisationsbereich und folglich auch die operative Entscheidungsgewalt bei der Anwendung oder Umgehung von IT-Standards. Die Organisationsbereiche treffen ihre Entscheidungen weitgehend unabhängig voneinander.

Die Durchset-zung zentraler IT-Entscheidungen ist hier erschwert und auch rechtlich nicht möglich. Der Top-Down-Ansatz für Standardisierung stößt in einem solchen Szenario schnell an seine Grenzen und bleibt effektlos. Bedingt durch die lokale Sichtweise der Organisationsbereiche geht die Wahrnehmung für einen unternehmensweiten Nutzen von Standards verloren und Standards werden durch Vorschub proprietärer Interessen ausgehebelt, so das IT-Systeme abweichend von Standards als Sonderlösungen konzeptioniert und realisiert werden. Ein weiteres Problem ist die erschwerte Messbarkeit der positiven und negativen Auswirkungen eines Standards. Eine Messmethode für die Messung der Standardnähe von ERP-Software wird in [4] vorgeschlagen.

Neue Wege


Auch in großen IT-Organisationen kann auf Standardisierung mit dem Ziel der Komplexitätsreduktion nicht verzichtet werden. Für die Umsetzung wird in diesem Beitrag eine Modifizierung des Top-Down-Ansatzes vorgeschlagen, wobei es im Wesentlichen um das Rückkoppeln von dezentralen Informationen in zentrale Entscheidungsinstanzen geht.


Informationsfluss im hybriden Ansatz

Grundlage für die Verbreitung von Standards ist dabei ein unternehmensweit einheitliches System [5] zur Dokumentation der IT-Bebauung, in dem folgende Informationen erfasst werden:

  1. Jede IT-Organisation erfasst die von ihr verantworteten Informationssysteme. Dazu zählen die Basisdaten der Anwendungen sowie deren Beziehungen und Schnittstellen untereinander.
  2. Jede IT-Organisation erfasst für alle Informationssystemen, die betriebliche Umgebung. Dazu zählen die genutzte IT-Infrastruktur, IT-Services und verbaute IT-Komponenten (Kaufkomponenten und Eigenentwicklungen). Erfasst wird auch die Konfiguration der betroffenen Komponenten, beispielsweise Version oder Patchlevel. Verbaute und betriebene Komponenten einer bestimmten Version heißen Instanzen.
  3. Zentral und für alle IT-Organisationen einheitlich wird ein Katalog mit der Herstellerversion einer Komponente gepflegt. Die Herstellerversion gibt den Releasestand einer Komponente an. Jeder Releasestand wird in einen Support-Lifecycle eingeordnet. Der Support-Lifecycle trifft Aussagen darüber, wann und mit welcher Qualität eine interne, zentralisierte Unterstützung für die betreffende Komponentenversion verfügbar ist. Die erfassten Instanzen (siehe Schritt 2) werden dem Support-Lifecycle zugeordnet.
  4. Der Katalog wird um Informationen des Herstellers sowie typische Einsatzempfehlungen ergänzt. Weiterhin sind Aussagen über Beschaffung und Lizensierung der Komponente enthalten. Durch ein unternehmensweit akzeptiertes Gremium werden strategische Bewertungen für Komponenten durchgeführt und hier als Strategie-Lifecycle dokumentiert. Typische Standardisierungsgrade könnten als „Einführen“, „Standard“, „Empfohlen“, „Ablösen“, „Verboten“ benannt sein.

Auswirkungen


Die im vorangegangenen Abschnitt erfassten Informationen zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus

  • Dezentralisierung der Erfassung und Pflege der IT-Landschaft (Anwendungssysteme und betriebene Instanzen) und des Nutzungsgrads der IT-Komponenten.
  • Zentralisierte Pflege von Komponenten-Basisinformationen mit Support- und Strategiewertung und Referenzierung durch Instanzen.
  • Entkopplung des Betriebs-, Support- und Strategie-Lifecycles. Ein taktisches Element der Erfassung ergänzt diese Eigenschaften:
  • Alle Daten haben einen dokumentierten Ansprechpartner mit Kontaktdaten.
Durch die Trennung der Erfassung und Pflege der zentral und dezentral verantworteten Informationen ohne direkte Wertung ist ein hoher Abdeckungsgrad mit aktuellen Inhalten möglich. Strategische Wirkung entfaltet sich nun durch ein weiteres Element: Visualisierung des Zustands der IT-Bebauung über Reporting.

1. Abgleich von internem Support und Betrieb: Der Report verbindet für die fokussierte Komponente den Support-Lifecycle und den operativen Lifecycle aller IT-Organisationen. Diese können dann ihre betriebliche Umgebung auf Übereinstimmung prüfen. Abweichungen zwischen Support und Betrieb werden sichtbar und es entsteht ein Handlungsdruck. Anstehende Migrationen können rechtzeitig geplant und umgesetzt werden. Darüber hinaus ist es möglich, sich über die Migrationsvorhaben in anderen IT-Organisationen zu informieren und Synergien über ein gemeinsames Projektgeschäft zu erzielen.


Zentraler Katalog als Mediator für die Standardisierung

Bei Beschaffungsvorhaben können IT-Organisationen schnell zentralisiertes Wissen und die betriebliche Expertise anderer Organisationen mobilisieren. In der Folge werden bereits vorhandene Komponenten passend zum Support-Lifecycle wiederverwendet.

2. Durchsetzung von Standards: Ein Report verbindet den Strategie-Lifecyle mit dem Support-Lifecycle. Hier wird sichtbar, inwieweit sich zentraler Support konform zu den strategischen Vorgaben der Standardisierungsgremien verhält. Durch Anreicherung der strategischen Wertung mit Aussagen zur Lizensierung, zu Aspekten der IT-Sicherheit und technischen Integration entsteht beim zentralen Support ein Handlungsdruck zum Abgleich des Support-Lifecycles.

3. Stärkung des Einkaufs durch Zentralisierung: Ein Report listet vollständig die betriebenen Komponentenversionen (Instanzen) der verschiedenen IT-Organisationen auf, deren internen Support-Level und die strategische Wertung. Lizenzwesen und Beschaffung können mit diesen Informationen die Verbreitung und den Wert der betreffenden Instanzen ermitteln und ihr Produktportfolio-Management darauf ausrichten.

4. Bedarfsermittlung für Standardisierung: Der gleiche Report deckt auch Standardisierungsbedarf auf. Der entsteht dann, wenn für den gleichen Zweck in den IT-Organisationen viele unterschiedliche Komponenten betrieben werden. Weitere Kandidaten für Standardisierung finden sich in innovativen Bereichen, in denen sich voraussichtlich hoher betrieblicher Bedarf entwickeln wird. Rechtzeitige und gut dokumentierte Vorgaben verhindern dann eine unerwünschte betriebliche Vielfalt.

5. Neue Standorte und Mergers & Acquisitions (M&A): Die Versorgung neuer Standorte mit Informationssysteme IT-Infrastruktur und IT -Komponenten kann nun auf der Grundlage der erfassten Informationen in allen Erfassungsebenen erfolgen: Informationssysteme und der IT-Komponenten werden nach Bedarf und in Anlehnung an den aktuellen betrieblichen Verbreitungsgrad, dem Supportlevel und der strategischen Wertung ausgerollt. Bei M&A können zusätzlich Entscheidungen zur Integration bestehender Systeme oder deren Ablösung zielgerichtet getroffen werden.

Fazit


Die Modifizierung des Ansatzes zur Etablierung von IT-Standards hat gezeigt, dass auch in großen Organisationsstrukturen eine Durchdringung und Akzeptanz von IT-Standards erreicht werden kann. Durch die Etablierung einer zentralen Datenquelle können Lebenszyklus-Informationen der jeweiligen Komponente konsolidiert bereitgestellt werden. Für Support und Betrieb ist ein Informationsabgleich möglich, sodass Handlungsfelder bei Diskrepanzen ersichtlich werden. Die Ausrichtung des Supports an strategischen Vorgaben wird unterstützt und der Einkauf kann seine Aktivitäten durch das Produktportfolio besser vorausplanen.

Ein hoher Grad an heterogenen Komponenten deutet auf Standardisierungsbedarf hin, dieser wird mit dem Report aus der zentralen Datenquelle aufgedeckt. Der Report gibt auch wertvolle Hinweise bei der Planung neuer IT Systeme.

Literatur


[1] BITKOM: Enterprise Architecture Management: Neue Disziplin für die ganzheitliche Unternehmensentwicklung. 2011.
[2] Hanschke, I.: Enterprise Architecture Management - einfach und effektiv: Ein praktischer Leitfaden für die Einführung von EAM. München 2012.
[3] Bick, M.: Knowledge Management Support System: Nachhaltige Einführung organisationsspezifischen Wissensmanagements. Dissertation, 2004.
[4] Sekatzek, E.P., Krcmar, H.: Messung der Standardnähe von betrieblicher Standardsoftware. Wirtschaftsinformatik 51. Jg. 2009, Heft 3, S. 273–281.
[5] Eigner, M., Stelzer, R.: Product Lifecycle Management: Ein Leitfaden für Product Development und Lifecycle Management. 2. Aufl. Berlin 2009

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